Flug von Rurrenabarque nach La Paz. Stadtbesichtigung und Besuch des San Pedro Gefängnisses.

Reise­bericht ­Bolivien 2003
La Paz – Teil 1

14. März 2003

Liebe Freunde,

nach meinem Pampatrip musste ich noch einen Tag in Rurrenabarque verbringen, da es keine Flüge gab. Ich wollte die Gelegenheit eigentlich nutzen, um ein wenig zu reiten, das ist aber keine der Standardtouren in der Gegend. Ronaldo, der Chef der Agentur, mit der ich in der Pampas war, versprach mir auch, mir ein Pferd zu organisieren, aber es wurde später und später, ich wurde immer wieder vertröstet. Um vier Uhr sagte mir Ronaldo dann schließlich, dass er über zwei Stunden mit dem Motorrad durch die Gegend gedüst sei, um sein entlaufenes Pferd zu suchen, es aber nicht habe finden können. Nun, wie Ihr gemerkt habt, habe ich die Zeit genutzt, um Euch einen Bericht zu schreiben, und der Bericht entsprechend der verfügbaren Zeit sehr lang geworden.

Auch am nächsten Tag wurde erstmal die Geduld beansprucht, was mich aber kaum mehr berührt. Wir sollten um neun im Büro der Fluggesellschaft sein, dann wurde aus Wetter- und anderen Gründen die Abflugzeit im Stundenrhythmus weiter und weiter verschoben, bis wir dann endlich um halb eins zum Flughafen gekarrt wurden. Auch in anderer Hinsicht wurde ähnlich gearbeitet, erst zahlt man das Ticket, dann sagen sie einem, dass man nur 15kg Gepäck frei hat, man zahlt dafür entsprechend extra, dann kommt noch was extra für den Transfer zum Flughafen, dann eine Flughafensteuer, dann eine Tourismussteuer. Naja, alles bezahlbar, aber in einem Ort ohne Geldautomaten und Banken waren wir natürlich alle reichlich blank.

Das Flugzeug hatte nur zwölf Sitze, und ich saß direkt hinter den Piloten, und sah die Zeiger auf dem Höhenmesser kreisen. Von Rurrenabarque nach La Paz ist es nicht weit, aber der Höhenunterschied beträgt gut 4000m, somit war das arme Flugzeug die meiste Zeit damit beschäftigt, sich in die Höhe zu schrauben. Zwischendurch waren wir dann auch mal auf ganzen 19.000 Fuss, also 5800 Meter, dass ganze natürlich ohne Druckkabine. Wer wollte, konnte natürlich eine Sauerstoffmaske aufziehen, aber als richtiger Mann riskiert man natürlich lieber Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und Tod durch Höhenkrankheit.

Die Ankunft über La Paz ist spektakulär, die Stadt schmiegt sich in die umgebenden Täler, ein fantastischer Anblick. Insgesamt gefällt mir die Stadt sehr gut, sie ist riesig, ist aber vergleichsweise sauber, die klassische Architektur wird durch etliche moderne Hochhäuser in einer gelungenen Mischung durchbrochen und man fühlt sich heimisch und sicher (was zumindest bei Dunkelheit ein Trugschluss sein dürfte). Mitten in der Stadt gibt es einen Aussichtspunkt, von dem man ganz wunderbare Photos machen kann.

La Paz
La Paz

Am Abend habe ich mich mit Carmen getroffen, die mit mir den Uyuni-Trip gemacht hat. Beinahe hätten wir es auch geschafft Keith dazu zu bekommen, aber Internet ist halt doch nicht ganz so einfach wie die Omnipräsenz von Mobiltelefonen. Wir waren dekadent und sind Sushi essen gegangen, und haben uns richtig lecker den Bauch vollgeschlagen, zu Preisen, die hier astronomisch sind und für unsere Verhältnisse (und hervorragendes Sushi) ein Witz.

das Gefängnis San Pedro in La Paz
Das Gefängnis San Pedro in La Paz. Von Außen sieht es ganz, nett aus, oder? Innen ist es die Hölle, zumindest im normalen Bereich.

Aber es standen wieder Abenteuer an, wir wollten ins San Pedro Gefängnis, das Hauptgefängnis von La Paz und somit auch von Bolivien. Wir wussten, dass das Gefängnis einen ganzen Häuserblock, also gut 100×100 Meter einnimmt, und dass es zwei Teile gibt, einen normalen, wo es mindestens so schlimm zugeht, wie man sich das vorstellt, und einen, wo man reinkommt, wenn man das nötige Kleingeld hat. Letzteren Teil kann man besuchen. Wie man da reinkommt, darüber hatten wir widersprüchliche Infos aus verschiedenen Reiseführern und von Chris (ebenfalls vom Uyuni-Trip) der da vor einer Woche war. Wir näherten uns dem Gefängnis und sahen vor dem Tor etliche Leute stehen, durch ein Gitter auf einen überfüllten Hof. So ganz geheuer war mir das ja nicht, sollte aber doch angeblich kein Problem sein.

Carmen hatte etwas gelesen, dass man nur rein käme, wenn man den Namen eines der Insassen kennen würde, aber ein erster Versuch, mit einem Namen an den sie sich erinnerte, fruchtete nicht. Nein, es gäbe keine Touren, und einen John auch nicht. Wir recherchierten in der Mail von Chris, aber auch mit dem Namen Richard kamen wir nicht weit. Oder sollte das nur mit Bestechung funktionieren? Mein Versuch, meinen Pass zu überreichen, aus dem ein paar Scheine herausragten, fruchtete auch nicht. Nein, hier ginge nichts. Der Mann hatte aber keinen oder einen Streifen auf den Schultern, und da standen noch drei und zwei Sterne rum … und Gott sei Dank führte uns der zwei Sterne Mann um die Ecke … wir hatten es am falschen Eingang, dem für die bösen / armen Gefangenen, versucht. Wer es von Euch nachmachen will gehe nicht zu dem östlich zum Park hin gelegenen Eingang, sondern links um die Ecke zum nördlichen Eingang.

Hier zeigte der Namen Richard, wir seien Freunde, gleich Wirkung. Richard ist ein recht schmaler Schwarzer aus der Karibik, mit Rasterlocken. Wenn es ein Klischee für Drogendealer gibt, dann ja wohl ihn (allerdings eher für den Kleindealer von der Strasse, der dir auf irgendeiner Insel was Gras verkaufen möchte. Vgl. meine 2002 Belizeberichte). Er hatte es einen Schritt höher versucht, war nach Bolivien geflogen und versuchte zehn Tage später mit etwas Pulver im Gepäck nach Hause zu fliegen. Ihm glaubte natürlich niemand, dass er keine Ahnung habe, was das für ein Zeug in seinem Koffer sei und wie es dahin gekommen wäre. Aus den zehn Tagen wurden Jahre … Richard bestätigte den Wärtern, dass wir Freunde seien, erklärte uns, dass wir jeder gute acht Dollar zu zahlen hätten, unter anderem für die Wachmänner und dann führte er uns durch den Wohnblock, der nur 50 Bewohner hat, während sich im Hauptteil über 1000 tummeln.

Der Hauptteil des Gefängnisses ist ein rechtsfreier Raum, die Polizei betritt den Distrikt nur in Trupps und das selten, die Gefangenen sind faktisch sich selbst überlassen. Jeden Monat werden um die zwei der Insassen erstochen und auch sonst herrscht das Gesetz des Stärkeren. Wer es also irgendwie vermeiden kann kauft sich mit 250 bis 350 USD frei, das Geld geht zum Teil an die Selbstorganisation im “Luxus-Distrikt”, und zum Teil an die Wärter, aber nur die oberen (Sterne auf der Uniform???), die für ziemlich alles bezahlt werden, denen sogar jeden Tag was zum Essen organisiert wird. Dann muss man sich eine Zelle kaufen oder mieten, ein ca. 14qm Zimmer mit eigener Küche und kleinem aber sehr anständigem Bad kostet so um die 4000 Dollar, das ist eine gute Investition, wenn man etliche Jahre vor sich hat, und anschließend kann man die Zelle auch wirklich an seinen Nachfolger verkaufen. Die nobelste Zelle, die wir aber nicht gesehen haben, erstreckt sich über drei Stockwerke und gehört einem ehemaligen Bankdirektor, der seine Bank um gute 10 Millionen Dollar erleichtert hat. Chris meinte, er hätte sogar einen eigenen Whirlpool und seinen Privatkoch. Ansonsten gibt es dort alle möglichen Vergehen, viele Drogendealer, aber Mörder sind schon auch mit dabei.

Das Leben ist hier durchaus erträglich, man kann rund um die Uhr Besuch bekommen, manche Insassen haben sogar ihre Familie bei sich leben (kostet natürlich ein bisschen extra). Es gibt Computer, Telefone (verboten aber geduldet), zwei oder gar drei Restaurants, ein Fitness-Studio und einen Billardsalon. Man muss hier vollständig für sich selbst sorgen, aber so teuer ist das gar nicht, man kommt angeblich (wenn ich richtig verstanden habe) mit 100 Dollar im Monat aus, nach oben sind die Grenzen offen. Alles was man braucht, kauft man seltsamerweise anscheinend nicht von Außen, sondern von der anderen Seite des Gefängnisses, wo außer Gewalt wohl auch sonst alles verfügbar ist. Wir sahen, als wir draußen warteten, ein paar japanisch anmutende Geschäftsmänner in besten Anzügen, die gerade einen Computer mit allem Zubehör lieferten. Ich möchte ja nicht wissen, was da noch alles im Gehäuse versteckt war. Über Chris habe ich die Info, dass einer der Gefangenen so an die zehn Kilo Drogen in seiner Zelle hat, aber dass das kein Problem sei, denn die Behörden würden ihn immer rechtzeitig informieren, bevor eine Durchsuchung ansteht.

Im Luxus-Bereich verwalten sich die Gefangenen selbst, Unruhe, Gewalt oder Diebstahl wird nicht geduldet, selbst wer nach halb eins nachts noch Lärm macht, kann bestraft werden. Für kleinere Vergehen wie letzteres gibt es dann vielleicht mal einen Tag Einzelhaft, aber im schlimmsten Fall wird man zurück in den Hauptdistrikt geschafft und das will man auf JEDEN FALL vermeiden. Das Leben im Gefängnis ist also bequem, sicher und ruhig. Wenn man genügend zahlt, ist übrigens sogar Freigang möglich, aber der Preis ist so angesetzt, dass man erwarten kann, dass derjenige nach seinen 15 Tagen NICHT zurückkommt und es hoffentlich außer Landes geschafft hat.

Wer von Euch auch mal da rein will, der versuche entweder Drogen zu schmuggeln oder wende sich an Richard, der dort wohl noch einige Zeit verbringen wird. Wir können ihn wirklich empfehlen, er hat sich für uns und unsere Fragen über eine Stunde Zeit genommen, war freundlich, witzig und kompetent. Auch der Schwede Anderson, der für ein paar Jahre sitzt und dessen einheimische Frau mit dem zwei Monate alten Baby grad auf Besuch war (scheinbar sind alle Frauen / Freundinnen ständig da), sollte als Ansprechpartner verfügbar sein, wenn Richard entlassen sein sollte (wie lange er noch hat, war anscheinend nicht ganz klar). Aber selbst wenn das nicht klappt, meinte Richard, wäre es kein Problem, sich einfach an den richtigen Eingang zu wenden, da würde einem geholfen. Vorausgesetzt natürlich, dass der richtige Mann mit den Sternen grad da ist, denn es gibt offensichtlich auch andere: Als wir gehen wollten, mussten wir ein paar Momente im Zimmer des Computer-Lehrers untertauchen, da grad jemand wichtiges im Eingangsbereich war, der die Touristen-Touren wohl nicht so gut findet. Richard meinte auch, dass es kein Problem wäre, eine kleine Kamera mit hinein zu nehmen, aber auch darauf haben wir verzichtet, um Probleme zu vermeiden. Der Besuch ist übrigens nicht nur Donnerstag und Sonntag möglich, wie es in den Reiseführern steht, aber an diesen Tagen könnte es etwas einfacher und um ein winziges billiger sein.

Chris hat noch eine Info für die ganz Verrückten unter Euch: Wenn man so um die 250 Dollar zahlt, soll man angeblich sogar eine Nacht im anderen Teil des Gefängnisses verbringen können, mit eigener Security und allen Drogen, die man nur haben möchte.

Was für eine Tour!

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