Tief Unten

ca. 14 Minuten
ein Drehbuch von Volker Umpfenbach

Fassung 2.0 vom 18.12.97
© 1997

Innen/Tag Büro

Günther Grüner, Ende vierzig sitzt an seinem Schreibtisch, in der Hand hält er einen Bleistift. Auf dem Tisch liegen viele Zettel verstreut, vor Grüner liegt ein Akt, in dem er lustlos blättert. Ab und zu bleibt er kurz auf einer Seite, liest genauer nach oder greift zur Rechenmaschine, um etwas nachzurechnen.

Er schließt den Akt, legt den Stift auf die Vorderseite und dreht ihn wie bei Flaschendrehen. Der Stift zeigt in Richtung Fenster. Günther steht auf und öffnet es. Ein Windstoß fährt in das Zimmer und bläst die Zettel vom Tisch. Günther legt alles an seinen Platz und beschwert jedes Stäpelchen mit Dingen aus seinem Schreibtisch: Klammerer, Locher etc.

Titel “Tief Unten”

Innen/Tag WC im Bürohaus

Vier Pissoirs nebeneinander. Ganz links steht Günther, ganz rechts ein Kollege.

Günther: Sag mal, befriedigt dich das hier eigentlich?

Kollege: Bitte?

Der Kollege starrt Günther mit fragendem Blick an.

Günther: Ich meine, erfüllt dich deine Arbeit?

Er blickt wieder ins Becken schüttelt die letzten Tropfen ab und schließt seine Hose.

Kollege: Du stellst Ansprüche …

Innen/Tag Büro

Günther am Schreibtisch, der Akt wieder geöffnet. Er zieht ein Blatt unter dem Klammerer hervor, nimmt dann den Locher von einem anderen Blatt herunter, locht das erstere und heftet es in den Akt. Ein Windstoß bläst das Papier, auf dem der Locher stand, vom Tisch. Günther reagiert nicht. Er betrachtet seine sauberen und polierten Fingernägel.

Günther öffnet die Schreibtischschublade. Auf einem älteren Foto von Günther mit seiner Exfrau, das wohl früher auf dem Schreibtisch stand, liegen Lederhandschuhe. Er nimmt sie und steht auf, packt den Akt in seine Mappe, zieht seinen Mantel, der am Kleiderständer neben der Tür hängt, an und geht.

Außen/Dämmerung Neubaugebiet

Straße in Neubaugebiet, neben der Straße eine unerschlossenes Grundstück. Im Hintergrund ein Rohbau und Arbeitsgeräte. Günther in Mantel mit Mappe, den Blick nach unten auf dem Weg nach Hause. Plötzlich bleibt er stehen, bückt sich und hebt etwas vom Boden auf. Es ist aber nur ein verrosteter Ansteck-Button mit der Aufschrift „Heute schon gelacht?” oder ähnlich. Er steht auf und schmeißt den Anstecker in die Wiese neben sich. Dann bleibt sein Blick erneut hängen: Im hohen Gras liegen ein Spaten und ein Pickel. Günther legt seine Tasche auf den Boden, zieht seinen Mantel aus, legt diesen auf die Tasche, darauf seine Handschuhe und geht zum Pickel. Er nimmt ihn auf, wiegt ihn in seinen Händen und legt ihn dann zurück. Er nimmt den Spaten, schaut sich um und fängt an zu graben. Nach ein paar Stichen legt er den Spaten zurück ins Gras, klopft sich zufrieden die Erde von den Händen und geht zurück zu seiner Tasche.

Innen/Tag Büro

Günther kommt außer Atem in seinem Büro an. Auf dem Schreibtisch liegen immer noch die mit diversen Sachen beschwerten Zettel. Er zieht sich schnell aus, holt eilig einen Akt aus dem Schreibtisch und beginnt hastig ein paar Sachen nachzuschlagen.

Seine Sekretärin betritt den Raum, er schaut sie zunächst nicht an, während sie reden, sondern liest weiter in dem Akt.

Günther: Ja?

Sekretärin: Ich habe gerade einen Anruf vom Sekretariat von Herrn Karlson erhalten. Ich soll ihn entschuldigen, aus dringenden Gründen könne er den Termin nicht einhalten. Er wird Sie in den nächsten Tagen anrufen.

Günther schließt den Akt und schiebt ihn zur Seite, er schüttelt nachdenklich den Kopf, lehnt sich zurück und schaut auf.

Günther: Können Sie mir einen Kaffee bringen?

Die Sekretärin nickt und verlässt das Büro.

Günther greift in seine Jackentasche und zieht ein paar Briefe hervor. Er öffnet eine Rechnung. Eine Werbesendung fliegt ungeöffnet in den Papierkorb. Dann ein Brief von seiner Bank mit einem Stapel lange nicht abgeholter Kontoauszüge. Er blättert sie durch und ist selbst erstaunt, dass sich nach und nach 30.000 DM angesammelt haben.

Die Sekretärin bringt den Kaffee.

Sekretärin: Der Chef lässt Sie fragen, ob es möglich wäre, dass Sie Ihren Urlaub um zwei Wochen nach hinten verschieben.

Günther zuckt mit den Achseln.

Innen/Tag Apartment Günther

Günther wohnt in einem kleinen Apartment, das er nach der Scheidung bezogen hat. Er hat sich dort nie richtig eingelebt. Die Uhr steht auf elf. Draußen läuten die Kirchenglocken ununterbrochen. Günther sitzt am Tisch, vor sich einige Akten, die Reste des Frühstücks sind nur zur Seite geschoben. Er sitzt einfach da und starrt auf die Unterlagen. Dann schiebt er sie plötzlich mit Schwung vom Tisch.

Außen/Tag unerschlossenes Grundstück

Außer ein paar Spaziergängern ist niemand unterwegs. Die Baustelle neben dem Grundstück steht leer. Wir hören Günther fröhlich pfeifen, bevor wir ihn sehen. Er steht mit blauem Arbeitskittel und alter Hose in einem zwei mal zwei Meter großen und hüfttiefen Loch und ist gerade dabei, den Boden mit dem Pickel zu lockern, in einer Ecke des Loches liegt ein größerer Stein, außer dem Spaten steht noch eine Schaufel im Loch, am Rand liegt seine Arbeitsmappe. Günther schmeißt nun die Erde mit der Schaufel nach draußen, wo sich schon der restliche Aushub als Erdberg türmt. Er stellt die Schaufel zur Seite, holt sich aus seiner Mappe ein Pausenbrot und eine Flasche Bier und setzt sich auf den Stein in der Ecke, um Pause zu machen.

Innen/Tag Büro

Günther steht am Fenster und blickt hinaus. Die Sonne steht nicht mehr sehr hoch. Er blickt auf seine Uhr: 15:05h. Er setzt sich und blättert noch lustloser als am Anfang in verschiedenen Unterlagen, ab und zu bleibt sein Blick kurz hängen, aber dann blättert er sofort weiter. Einmal möchte er etwas festheften. Er greift zum Klammerer, er stockt, blickt zum geöffneten Fenster. Dann durchsucht er seine Jackettaschen und zieht einen Stein hervor, legt diesen auf den Stapel Zettel, wo der Klammerer steht, und nimmt diesen erst dann herunter, um die Blätter zusammenzuheften. Der Klammerer wandert in die Schreibtischschublade. Blick auf die Uhr 15:07h. Sein Blick schweift zu seinen schwarz umrandeten Fingernägeln. Er greift zum Telefon und wählt eine zweistellige Nummer.

Günther: Grüner, ich habe noch einen Kunden-Termin vereinbart und muss außer Haus. – Nein, erst morgen wieder. – Gleichfalls.

Er packt seine Sachen und verlässt das Büro.

Außen/Tag unerschlossenes Grundstück

Die Grube bleibt zwei mal zwei Meter, wird aber immer tiefer. Günther kommt in Bauarbeiterkleidung, mit Arbeitshandschuhen zu seinem Loch, über der Schulter trägt er eine Leiter, in der anderen Hand seine Mappe. In drei Meter Abstand zum Grubenrand ist Absperrband gespannt. Günther stellt die Leiter in die Grube. Dann öffnet er seine Tasche und entnimmt ihr einen Zimmererhammer, Nägel und ein Schild „Betreten der Baustelle verboten! Eltern haften für ihre Kinder”. Er nagelt das Schild an einen Pfosten, der neben der Grube auf der Erde liegt.

Innen/Tag Büro

Günther sitzt am Schreibtisch. Die Bürogeräte, mit denen er seine Blätter beschwert hatte, stehen wieder an ihrem Platz oder sind in der Schublade verschwunden, dafür liegt auf jedem Stapel Papier jetzt ein Stein. Die Steine sind bis über faustgroß. Neben dem Telefon steht ein Glas Mineralwasser. Günther liest einen Vertrag. Dann legt er ihn kurz zur Seite und blättert kurz in einem Akt. Als er den Vertrag wieder in die Hand nimmt hat er einen Lehmfleck.

Günther: Scheiße.

Er zieht ein Taschentuch aus der Hose, taucht eine Ecke in das Wasserglas und versucht das Papier wieder sauber zu bekommen. Statt dessen verschmiert er den Fleck nur noch mehr.

Außen/Abend unerschlossenes Grundstück

An dem Rohbau im Hintergrund steht ein Bauarbeiter und beobachtet kopfschüttelnd das Geschehen. Günther steht in der schultertiefen Grube und arbeitet. Er füllt ein noch ein paar Schaufeln Erde in einen Eimer und steigt dann mit dem Eimer die Leiter nach oben. Der Schuttberg ist inzwischen mehr ein Schuttwall, fast rund um das Loch. Er schüttet den Eimer aus, setzt in ab und wischt sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und trinkt einen Schluck Bier. Dann entdeckt er in einer der Wände auf halber Höhe einen großen Stein, der hervorsteht. Er nimmt sich den Pickel und steigt wieder hinunter. Nach mehreren Schlägen bricht der Stein auf einmal heraus und ein Teil der Wand bricht ein. Günther kann gerade noch zurückspringen.

Günther: Scheiße.

Innen/Dämmerung Büro

Günther sitzt an seinem Schreibtisch. Neben dem Telefon liegen seine Arbeitshandschuhe, wo früher sein Mantel hing, hängt nun die blaue Jacke, ansonsten hat er normale Bürokleidung an. Direkt vor ihm hat er ein wenig Platz geschaffen, in dem er die dort liegenden Unterlagen einfach zur Seite geschoben hat. Er arbeitet an Skizzen, wie er seine Grube abstützen kann. Das Telefon klingelt, aber er reagiert überhaupt nicht. In der Skizze sind nun Schalbretter und Schraubstützen zu erkennen. Günther ist mit der Lösung zufrieden, steht auf und geht ans Fenster. Es ist schon fast dunkel, gerade schalten sich die Straßenlaternen an. Er nimmt seine Skizzen und die Handschuhe, nimmt die Jacke vom Haken und verlässt das Büro.

Außen/Nacht Baustelle

Durch die Silhouetten der Baustelle huscht das Licht einer Taschenlampe. In der Ferne bellt ein Hund. Günther durchforstet die Baustelle bis er einen Raum findet, in dem die Decke mit Schalbrettern verschalt und mit Stützrohren festgeklemmt ist. Er beginnt, die Sachen abzubauen.

Innen/Tag Büro

Günther kommt in Bauarbeiterklamotten in sein Büro. Hinter ihm versucht eine Sekretärin in sein Zimmer zu kommen. Er schließt die Tür, bevor sie es schafft und sperrt ab. Als erstes räumt er sämtliche Unterlagen von seinem Tisch und schmeißt sie in den Papierkorb. Nur die Steine und das Telefon bleiben auf dem Tisch. Er nimmt den Hörer ab und versucht mit Handschuhen zu wählen. Legt wieder auf. Legt die Handschuhe zu den Steinen und wählt erneut.

Günther: Guten Morgen. Können Sie mich bitte mit einem Fachmann für Grundwasser verbinden. – Ja, danke. – Ich warte.

Er trommelt mit den Fingern auf dem Tisch.

Außen/Nacht unerschlossenes Grundstück

Die Grube ist ca. 3 Meter tief. Irgendwo läuft ein kleines Aggregat, aus einem Schlauch läuft Wasser aus der Grube, die im oberen Teil vollständig verschalt ist und die Stützrohre laufen kreuz und quer. Unter dem Gitter der Stützen steht ein Straßenbauzelt. Durch die Leinwand sehen wir das Licht einer bewegten Taschenlampe. An den Schatten ist zu erkennen, dass im Zelt gearbeitet wird. Wir hören das Schaben der Schaufel.

Innen/Tag Büro

Die Bürotür wird aufgerissen, Günthers Chef betritt das Zimmer, hinter ihm kommt die Sekretärin. Das Zimmer ist leer.

Chef: Seit wie viel Tagen ist er jetzt nicht aufgetaucht? Haben Sie ihn angerufen?

Sekretärin: Er war die ganze Woche nicht da. Und auf seinem Anrufbeantworter hat er gesagt, dass man gar nicht erst versuchen solle, ihm eine Nachricht zu hinterlassen.

Der Chef geht zum Schreibtisch und findet die Unterlagen im Papierkorb.

Chef: Seit wann ist er eigentlich durchgedreht? Geht das schon länger?

Die Sekretärin zuckt mit den Achseln. Der Chef geht zum Schreibtisch und öffnet die Schubladen: alles voller Steine.

Chef: Sorgen Sie dafür, dass das in Ordnung kommt. Und schicken Sie Grüner eine fristlose Kündigung. Ich möchte kein Wort mehr über das Ganze hören.

Beide ab.

Außen/Tag Baustelle

In der Baustelle kommt ein Arbeiter in den Raum aus dem Günther die Rohre etc. geklaut hat. Ein Teil der Decke ist eingestürzt.

Arbeiter: Dieses Arschloch.

Er rennt nach draußen, besteigt einen Schaufelbagger, fährt in höchster Geschwindigkeit auf Günters Grube zu.

Außen/Tag unerschlossenes Grundstück/Grube/Zelt

Wir befinden uns im Zelt auf dem Boden der Grube. Günther hat sich häuslich eingerichtet. Auf der einen Seite steht ein schmales Feldbett, daneben ein Wecker. An der Decke hängt eine Gaslampe. Günther, auf dem Kopf einen Helm mit Grubenlampe, kauert auf der anderen Seite und begutachtet die Erdschicht an der er angelangt ist, neben sich ein Farbbildband zur Gesteins/Erdbestimmung.

Die ganze Zeit über ist das immer lauter werdende Geräusch des Baggers zu hören. Als der Baggermotor aufheult (weil der Bagger am Erdwall um die Grube angekommen ist) blickt Günther für eine Sekunde nach oben an die Zeltdecke, dann widmet er sich wieder seiner Arbeit.

Außen/Tag unerschlossenes Grundstück

Der Bagger hat das Absperrband einfach durchfahren und schiebt den Erdwall in die Grube.

Abspann

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