Der Fluss

Für M.

Es war einmal ein kleiner Fluss. Als er noch jung war, gerade seiner Quelle entsprungen, kannte er noch nichts von der Welt, durch die er floss. Und so kam es, dass er seine Wasser bald hier, bald da etwas von seinen Ufern mitreißen ließ. Doch als er älter wurde, erkannte er, dass sein Flussbett vom Müll einer durch und durch schlechten Welt gesäumt waren. Und als er auch entdeckte, dass sich seine Wasser vom Unrat, den er unwissend umspült hatte, getrübt hatten, begann sein Lauf unruhig zu werden und Wirbel bildeten sich. Er hasste sich für seine Unwissenheit, durch die er seine Verschmutzung zugelassen hatte, und dafür, dass es ihm so schwer fiel den Schmutz aus seinem Inneren zu entfernen. Und so ließ er sich ihn seinen Wirbeln treiben, sein Lauf franste aus und er drohte zu versanden. Doch als sein Ende schon zu sehen war, erkannte er, dass es nicht seine Wasser waren, die das Übel verursacht hatten, und ihm wurde gewahr, dass alles, das von ihm übrig bleiben würde, wenn er sich austrocknen ließe, jener Müll sein würde, der noch in ihm steckte. Er sammelte sich wieder und strömte mit einer neuen Kraft, gewillt rein zu werden. Da er sich so neu und kräftig sicher vor neuer Trübung durch die Berge des Unrats, die er zu bekämpfen sich vorgenommen hatte, ergoss, bemerkte er, dass sich sein Wasser bereits zu klären begonnen hatte. Als er der Unreinheit bewusst geworden war, hatte er sich, ohne dass er es merkte, gegen den Dreck gesperrt, hatte keinem weiteren in sein Inneres mehr eindringen lassen. Der Staub vom dem er sich aufgesaugt gefühlt hatte, war langsam zwar, aber doch merklich, abgesackt und zum Teil schon zurückgeblieben. Er wusste, dass es lange dauern würde, aber er würde es schaffen.

© Volker Umpfenbach, Januar 1993

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